BW 04/2022 - Schwerpunkt

Wahl in Sicht

Die IHK-Vollversammlung ist das Parlament der Berliner Wirtschaft. Über seine künftige Zusammensetzung wird nun entschieden.   Warum das Gremium für den Standort so große Bedeutung hat, sagen fünf Unternehmerinnen und Unternehmer. Ihre wichtigste   Botschaft: Wählen! 

von Almut Kaspar
Noch wenige Tage, dann fällt der Startschuss für die Wahl zur Vollversammlung (VV) der IHK, dem Parlament der Berliner Wirtschaft. Die Vorbereitungen laufen seit Monaten auf Hochtouren. Mit einer breit angelegten On- und Offline-Kampagne („Meine Stadt. Mein Unternehmen. Meine Stimme.“) über alle Marketingkanäle unterstützt die IHK Berlin den Wahlkampf der Kandidaten. Das Ziel ist eine höhere Wahlbeteiligung; 2017 lag sie bei neun Prozent und damit ungefähr im bundesdeutschen Durchschnitt.
Die Bedeutung der Wahl und des wichtigsten IHK-Gremiums schätzen auch Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer hoch ein. Und: Sie haben konkrete Erwartungen an ihre Vertreter in der VV. „Eine hohe Wahlbeteiligung sorgt dafür, dass die Berliner Unternehmerschaft in dem von ihr gewählten Gremium umfassend repräsentiert wird und Rahmenbedingungen der Berliner Wirtschaft mitgestalten kann“, sagt etwa Mona Rübsamen, Geschäftsführerin von 100,6 FluxFM und Vorsitzende des IHK-Branchenausschusses Creative Industries. „Wir sollten uns alle engagieren und an der Wahl teilnehmen.“
Für Gero Wiese, Geschäftsführer der SKS Sondermaschinen- und Fördertechnikvertriebs-GmbH, ist die IHK-Vollversammlung das wichtigste Entscheidungsgremium aller Berliner Unternehmen: „Wer sich dort repräsentiert fühlen möchte, sollte sich auch dafür engagieren und seine Stimmen abgeben.“ Auch Gregor C. Blach, Geschäftsführer der We Do Communication GmbH und geschäftsführender Vorstand des Marketing Club Berlin, ruft zur Wahl auf: „Es ist doch ein Privileg, dass wir nicht nur in der Politik wählen und mitbestimmen dürfen, sondern auch in der Wirtschaft.“
Dieser Meinung schließt sich Alexandra Knauer an, Geschäftsführerin der Knauer Wissenschaftliche Geräte GmbH: „Wie bei einer politischen Wahl können wir die Kandidatinnen und Kandidaten auswählen und unterstützen, die ähnliche Vorstellungen haben wie wir selbst – deshalb empfehle ich allen IHK-Mitgliedern, an dieser Wahl teilzunehmen.“ Und Martina Tittel, Geschäftsführerin der Nicolaischen Buchhandlung und bis zum Ende dieser Wahlperiode noch VV-Mitglied, sagt: „Die Berliner Unternehmerschaft sollte die Wahl nutzen – gerade jetzt, in diesen schwierigen Zeiten, ist es wichtig, deren gesammelte Expertise zu bündeln, um sie mit einer Stimme in die Politik einzubringen.“
Unternehmerin Alexandra Knauer sagt, dass sie sich zunächst die verfügbaren Informationen ansehe, um eine gute Entscheidung zu treffen: „Wenn ich jemanden bereits persönlich kenne und schätze, dann sind seine oder ihre Chancen besonders hoch, meine Stimme zu bekommen.“ Ebenso wichtig: „Die Person sollte in der Berliner Gesundheitswirtschaft gut vernetzt sein – und sie sollte sich für die mir wichtigen Themen soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit einsetzen.“
Für SKS-Geschäftsführer Gero Wiese wiederum kommt es vor allem auf das „Wir“ an: „Die Mitglieder der Vollversammlung sprechen nicht für sich oder für ihr Unternehmen, sondern vertreten stets ihre Wahlgruppe“, sagt er, „und deshalb ist es mir wichtig, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin sich das zur Aufgabe macht und versucht, die Anliegen der eigenen Branche in die VV einzubringen.“ Buchhändlerin Martina Tittel rät unbedingt zur Einhaltung der Wahlordnung: „Wer mehr Kreuze macht, als es Sitze in seiner Wahlgruppe gibt, oder alle Kreuze auf einen Kandidaten vereint, dessen Stimmzettel ist ungültig.“
„Ich erwarte von der neuen Vollversammlung, dass sie den Schwung aufnimmt, den IHK-Präsident Daniel-Jan Girl in das Amt gebracht hat“, sagt Martina Tittel von der Nicolaischen Buchhandlung, „und ich erwarte, konstruktive Vorschläge aus den Ausschüssen in der VV zu diskutieren, zu verabschieden und mit größtmöglicher Transparenz in die Politik einzuspeisen sowie mit Pressearbeit nicht zu sparen.“ Viele Probleme müssten gleichzeitig angegangen werden – „beispielsweise die Belebung der innerstädtischen Zonen, Digitalisierung, Klimaneutralität, Bildung an den Schulen, mehr Auszubildende“.

Druck auf die Politik aufrechterhalten

Außerdem gelte es noch immer die Berliner Verwaltung unbürokratischer und wieder erreichbar zu machen. „Unsere Interessenvertretung, die IHK mit ihrer Vollversammlung, sollte den Druck auf die Politik aufrechterhalten“, sagt Gregor C. Blach von We Do, „das Behörden-Ping-Pong muss reduziert und die Kleinstaaterei durch die Bezirke weiter eingeschränkt werden, Digitalisierung der Verwaltung, Verkehrs- und Energiewende brauchen den Schulterschluss mit der Wirtschaft, Enteignungen sollten vermieden werden – und für die Kreativwirtschaft brauchen wir Freiräume von Clubs über Freiluftbühnen bis hin zu Atelierflächen und Probenräumen.“
Die neue Vollversammlung, davon ist Mona ­Rübsamen von 100,6 FluxFM überzeugt, werde das unternehmerische Know-how einbringen, die Interessen der Berliner Gesamtwirtschaft steuern und gemeinsam mit dem IHK-Hauptamt die Kammer lenken. „Gemeinsam mit der Politik wird sie die relevanten Themen wie Fachkräftemangel, Digitalisierung der Verwaltung, digitale Bildung oder Wohnungsmangel angehen und dadurch die Zukunftsfähigkeit der Berliner Wirtschaft prägen.“

Werben für den eigenen Standpunkt

Was Alexandra Knauer von der Knauer Wissenschaftliche Geräte GmbH von dem Gremium erwartet, formuliert sie so: „Zu den drängenden Aufgaben zählen für mich vor allem eine reibungslosere, moderne Verwaltung und die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.“ Und fährt fort: „Akut wollen wir alle den Menschen aus der Ukraine helfen, und das betrifft dann zum Beispiel auch verstärkt die Verfügbarkeit von Wohnungen bei uns und das Thema der bezahlbaren Mieten – die Repräsentanten in der Vollversammlung, die Mitarbeiter der IHK und die Berliner Unternehmen können gemeinsam sehr viel leisten und erreichen.“
Für SKS-Chef Gero Wiese kommt es in den nächsten fünf Jahren darauf an, die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik zu optimieren: „Nicht immer denkt die Berliner Politik so, wie die Wirtschaft sich das wünschen würde“, sagt er, „tatsächlich ist es ein ständiger Dialog, der vom Informieren, Erklären und dem Werben für den eigenen Standpunkt geprägt ist.“ Damit das erfolgreich gelingen könne, müsse ein gegenseitiges Vertrauen herrschen. „Im Berliner Senat haben Schlüsselpersonen gewechselt, im Präsidium der IHK und in der Vollversammlung wird es ebenfalls neues Personal geben – es ist deshalb vorrangig, dieses Vertrauen trotz der personellen Veränderungen aufrechtzuerhalten und zu stärken. Gemeinsam mit der Politik gelingt es uns voranzukommen, und da gilt es in der nächsten Legislaturperiode viel Mühe zu investieren.“
Damit die IHK Berlin mit ihrem Herzstück VV diese Erwartungen erfüllen kann, braucht sie ein starkes Mandat. „Das bekommt sie, wenn sich möglichst viele Mitgliedsunternehmen in die Arbeit der Kammer einbringen“, sagt Ulrich Misgeld, Vorsitzender des Wahlausschusses. Sein Appell: „Beteiligen Sie sich an der Wahl – denn nur so wird gewährleistet, dass dieses Parlament der Wirtschaft auch Ihre Interessen vertritt.“

Kandidatur und Wahl: So unterstützt die IHK Berlin

Die Kandidatenprofile mit Fotos und ­Kurzinformationen zur Person finden sich – auch zur Weiterverlinkung für den individuellen Wahlkampf – auf der Wahlwebsite:
ihk-berlin.de/kandidaten

Über den Verteiler der „Berliner Wirtschaft“ wird eine Broschüre mit allen Profilen sowie eine Beilage mit dem Wahlaufruf „WählerIn sind auch Sie!“ verschickt.

Über E-Mail und Post sollen Wahlberechtigte direkt zur Stimmabgabe animiert werden.

Zur individuellen Unterstützung der Kandidatinnen und Kandidaten gibt es auf Anfrage ein Wahlpaket: persönliches ­Bewerbervideo zur digitalen Wahlwerbung, Visitenkarte online und offline, Flyer zur VV-Wahl sowie Werbe­material für den persönlichen Wahlkampf.

Dankeschön-Kaffee für Wähler im LEH
Wer seine Wahlunterlagen direkt im Ludwig Erhard Haus abgibt, erhält
im neuen Bistro einen kostenlosen Kaffee.

Herzstück der IHK Berlin

310.000 Mitgliedsunternehmen wählen vom 25. April bis 23. Mai die 99-köpfige Vollversammlung
Genau 99 demokratisch gewählte Unternehmerinnen und Unternehmer gehören der Vollversammlung der IHK Berlin an. Dieses Parlament der örtlichen Wirtschaft ist das Herzstück der IHK und bestimmt deren inhaltliche Arbeit – von Stadtentwicklungs- und Infrastrukturfragen über branchenspezifische Themen bis hin zu bildungspolitischen oder außenwirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Vollversammlung (VV) entwickelt zudem Positionen für die Beratung von Politik und Verwaltung sowie Services für Unternehmen und vertritt die über 300.000 IHK-Mitgliedsunternehmen in Berlin. Gewählt werden die ehrenamtlichen VV-Mitglieder für jeweils fünf Jahre. Und weil die Wahlperiode der im Jahr 2017 gewählten Vollversammlung im Juli abläuft, steht nun wieder eine Neuwahl an.
Für deren Durchführung ist ein dreiköpfiger Wahlausschuss unter Vorsitz von Ulrich Misgeld verantwortlich, der die Wahlfrist festlegt, alle organisatorischen Entscheidungen trifft und letztlich die Wahl auch überwacht. „Die IHK ist eine wichtige und akzeptierte Stimme der Wirtschaft“, weiß Misgeld, „und die dafür erforderliche Willensbildung findet in der Vollversammlung statt – unabhängig von politischen Strömungen.“ Das Präsidium unterstütze die Arbeit der Vollversammlung, indem es wichtige Themen oder erforderliche Beschlüsse der Vollversammlung inhaltlich vorbereitet. „Gemeinsam mit dem Präsidenten leitet das Präsidium die IHK Berlin im Sinne der Entscheidungen und Vorgaben durch die Vollversammlung.“ Die tagt in der Regel viermal im Jahr, weshalb sich der Zeitaufwand für die ehrenamtlichen Mitglieder in Grenzen hält.
„Wertvolle Arbeit wird in den 20 Branchen- und Fachausschüssen der IHK geleistet, über deren Beratungsergebnisse und Empfehlungen regelmäßig in den Sitzungen der Vollversammlung berichtet wird.“ Grundsätzlich, so Misgeld, würden in der Vollversammlung die Wirtschaftslage, die IHK-Aktivitäten und die Finanzen beraten und entschieden – wobei auf bestmögliche Transparenz geachtet werde: „Die Protokolle der VV-Tagungen können jederzeit auf der IHK-Website eingesehen werden.“
Die Vollversammlung soll ein Spiegelbild der Berliner Wirtschaft sein, in dem Gremium sollen alle Wirtschaftsgruppen nach ihrer Bedeutung an der Willensbildung mitwirken können. „Deshalb“, sagt Ulrich Misgeld, „werden die Sitze der Vollversammlung entsprechend der Berliner Wirtschaftsstruktur in 14 Wahlgruppen eingeteilt.“ Teilweise haben diese Wahlgruppen nochmals Untergruppen, um die einzelnen Wirtschaftsbereiche differenzierter abbilden zu können. „Hier ist die Branchenmischung der bestimmende Faktor – Branchen mit einem hohen Anteil am Wirtschaftsgeschehen der Stadt sind stärker repräsentiert, andere wiederum schwächer.“
So bekommt zum Beispiel die Kreativwirtschaft acht Sitze, die Gesundheitswirtschaft insgesamt sieben Sitze, davon aus dem Bereich Industrie drei, aus dem Bereich Handel zwei und aus dem Bereich Dienstleistungen ebenfalls zwei. Nach wirtschaftlicher Bedeutung hat der Bereich Baugewerbe und Immobilienwirtschaft 13 Sitze, drei fürs Baugewerbe und zehn für die Immobilienwirtschaft. Auf nur zwei Sitze kommt dagegen die Ver- und Entsorgungsbranche.
„Wahlberechtigt sind in diesem Jahr rund 310.000 Unternehmen, die zur IHK Berlin gehören und in die Wählerlisten für die einzelnen Wahlgruppen eingetragen sind. „Diese Unternehmen“, sagt Ulrich Misgeld, „üben das Wahlrecht durch eine Person aus, die allein oder zusammen mit anderen zur gesetzlichen Vertretung befugt ist.“ Wählen könne auch ein im Handelsregister eingetragener Prokurist oder ein Wahlbevollmächtigter. „Wenn ein gelistetes Unternehmen seinen Hauptsitz nicht in Berlin hat, ist es möglich, das Wahlrecht auch auf einen befugten Vertreter der hier ansässigen Betriebsstätte oder Niederlassung zu übertragen.“ Jedes wahlberechtigte Unternehmen hat allerdings nur so viele Stimmen, wie es Sitze in der entsprechenden Wahlgruppe gibt. Für jeden Kandidaten kann jeweils nur einmal gestimmt werden.
Wer in den einzelnen Firmen wahlberechtigt ist, kann auch selbst für einen Sitz in der IHK-Vollversammlung kandidieren. Hier gilt: Jedes IHK-Mitgliedsunternehmen darf nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten für seine Wahlgruppe nominieren. Wahlbewerbungen konnten vom 1. bis zum 21. Februar beim Wahlausschuss eingereicht werden – nachgewiesen werden musste nicht nur die Vertretungsberechtigung im entsprechenden Unternehmen, die Kandidatinnen und Kandidaten mussten auch mindesten drei Unterstützer finden.
„Für die Wahl zur Vollversammlung bewerben sich nun 230 Personen“, sagt Ausschuss-Vorsitzender Misgeld, „bei der VV-Wahl 2017 waren es nur 202.“ Von den 230 Kandidatinnen und Kandidaten hätten sich 60, die derzeit noch in der Vollversammlung sitzen, erneut beworben – die restlichen 170 träten erstmals an.

Schriftlich oder elektronisch wählen

Gewählt werden kann vom 25. April bis zum 23. Mai – entweder schriftlich oder elektronisch. Für die Briefwahl erhalten die Wahlberechtigten von der IHK Berlin ihre Wahlunterlagen: Stimmzettel, Wahlschein sowie jeweils einen Umschlag für den Stimmzettel und einen für die Rücksendung der Wahlunterlagen. Zusätzlich bekommen sie ihre Zugangsdaten zum Wahlportal für die elektronische Wahl. „Besonderes Augenmerk haben wir darauf gelegt, dass die elektronische Wahl auch so sicher ist wie die anloge“, sagt Ulrich Misgeld. So ist ein BSI-zertifizierter Anbieter für die Durchführung der Online-Wahl beauftragt worden. „Unabhängig davon haben wir uns das zertifizierte Online-Wahlsystem im Wahlausschuss detailliert erläutern lassen – alle aufgetretenen Fragen konnten zu unserer Zufriedenheit geklärt werden.“
Nach dem Ende der Wahlfrist am 23. Mai erfolgt voraussichtlich am oder ab dem darauffolgenden Tag die Auszählung. Bekannt gemacht wird das Wahlergebnis vom Wahlausschuss auf der Internetseite der IHK Berlin, im Amtsblatt des Landes Berlin und in der „Berliner Wirtschaft“. Ein paar Wochen später, am 28. Juni, werden sich dann die Mitglieder der neuen Vollversammlung im Konferenzzentrum des Ludwig Erhard Hauses zur konstituierenden Sitzung treffen. Hier sollen vor allem ein Präsident oder eine Präsidentin sowie die Vizepräsidenten und weitere Präsidiumsmitglieder gewählt werden.
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