BW 01/2022 - SCHWERPUNKT | INTERVIEW

„Nachhaltigkeit ist nie fertig"

Als Netzwerkerin, Strategin und Coach in Sachen Kommunikation, Leadership und Sustainability ist Antje Meyer seit über 30 Jahren tätig. Seit 2007 setzt sie sich als ehrenamtliche CSR-Sprecherin der IHK Berlin aktiv für das Verständnis von einer nachhaltigen Wirtschaft ein.

Berliner Wirtschaft:

Welche Ziele haben Sie mit dem Netzwerk Unternehmensverantwortung?

Antje Meyer:

Im Netzwerk Unternehmensverantwortung kommen Wissende zum Thema Nachhaltigkeit zusammen. Das sind Unternehmerinnen und Unternehmer, die entsprechende Systeme in ihren Firmen eingeführt haben oder die mit ökologischen Geschäftsmodellen  gegründet haben. Auch Nachhaltigkeitsbeauftragte sind dabei. Wir kommen zusammen, um uns über die Entwicklungen im Bereich der Nachhaltigkeit auszutauschen. Nachhaltigkeit ist ja nie fertig. Die Rahmenbedingungen ändern sich laufend, und es ist spannend zu sehen, wie Unternehmen darauf reagieren. Die Umsetzung ist in starkem Maße zudem eine kulturelle Frage.

Wie dynamisch sind die Veränderungen im Bereich der Nachhaltigkeit?

Nachhaltiges Wirtschaften ist permanentes Reagieren auf Rahmenbedingungen – die ökologischen genauso wie die sozialen. Und es geht noch weiter: Entscheidend ist eine proaktive Zukunftsgestaltung. Idealerweise suchen Unternehmen jederzeit Szenarien, in denen sie etwas Gutes tun können, in denen sie die planetaren Grenzen anerkennen und einen Lösungsbeitrag für die Herausforderungen auf dieser Erde haben.

Wie stark wirkt Ihr Netzwerk nach außen?

Wir stellen unser Wissen natürlich auch zur Verfügung – zum Beispiel in Verbindung mit den Veranstaltungen der IHK. In diesem Jahr sind auch sehr viele neue Formate zur Wissensvermittlung geplant. Außerdem unterstützen wir innerhalb der IHK bei der politischen Meinungsfindung unter Nachhaltigkeitsaspekten.

Wie überzeugen Sie Unternehmen, der Nachhaltigkeit einen höheren Stellenwert zu geben?

Nachhaltigkeit ist grundsätzlich eine Success Story. Aber jedes Unternehmen muss diese Story für sich selbst definieren. Wenn man sich so lange wie ich aktiv mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt, verlässt man irgendwann die Prediger-Rolle. Immer noch schlagen mir die typischen Abwehrargumente entgegen: zu teuer, zu kompliziert, das will keiner. Es macht mir als Beraterin viel mehr Spaß, mit Unternehmen zu arbeiten, die nachhaltiger werden wollen, aber nicht wissen, wie sie die nächsten Schritte gehen können. Mit diesem Willen lässt sich mehr bewirken. 2021 haben Naturkatastrophen für die Dringlichkeit des Klimaschutzes sensibilisiert. Hat dies das Interesse der Firmen an Nachhaltigkeit gesteigert? Unbedingt, aber nach meiner Wahrnehmung nimmt das Thema Nachhaltigkeit schon seit etwa drei Jahren mit hoher Rasanz an Fahrt auf. Der Beratungsbedarf
steigt massiv. War Nachhaltigkeit vorher für Unternehmen eher ein „Nice to have“, so sehen jetzt sehr, sehr viele darin ein „Must have“.

Worin sehen Sie den Treiber für das Interesse?

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Der Druck aus der Zivilgesellschaft spielt eine Rolle. Greta Thunberg und Fridays for Future haben das Bewusstsein für Klimaschutz in der Wirtschaft spürbar gesteigert. Wahrscheinlich noch wichtiger sind die Regulierungen und damit verbundenen Auflagen für Firmen innerhalb der Lieferketten. Wer seine Klimabilanzen nicht im Griff hat, muss damit rechnen, Aufträge zu verlieren. Daten zur Nachhaltigkeit werden heute in Ausschreibungen abgefragt. Und jetzt gewinnt Sustainable Finance an Bedeutung.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Im Bereich der Kapitalanlage suchen die Investoren immer stärker nach nachhaltigen Investments. Gerade bei Banken und Versicherungen hat dieses Thema im vergangenen Jahr massiv an Fahrt aufgenommen. Das reicht bis zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Nachhaltige Unternehmen werden künftig bei der Kapitalbeschaffung Vorteile haben.

Reagieren Unternehmen auf Druck oder werden sie auch aus eigenem Antrieb nachhaltiger?

Die Motivationen, die hinter dem nachhaltigen Wirtschaften stehen, sind sehr komplex. Die meisten Unternehmen reagieren aktuell eher auf Druck. Aber es gibt auch Vorreiter, die Nachhaltigkeit vom Herzen her betreiben, echte Überzeugungstäter. Der übliche Weg ist aber, dass die ersten Schritte durch Druck ausgelöst sind und in den Führungsetagen dann die vielfältigen Chancen erkannt werden, die sich rund um das Thema Nachhaltigkeit ergeben können. Wenn dieser Mindshift einsetzt, kann eine enorme Dynamik ausgelöst werden, die zu positiven Veränderungen im gesamten Unternehmen führt.

Dann kommt es zur nachhaltigen Transformation.

Richtig. In einem Unternehmen hat alles mit allem zu tun. Wenn ich nachhaltige Produkte habe, verändere ich auch die Prozesse. Digitalisierung ermöglicht smarte Lösungen, ich brauche möglicherweise andere Qualifikationen, das Marketing muss anders argumentieren und, und, und – der Purpose – der Sinn – der gesamten Organisation verändert sich. Es geht nun um das Wirtschaften im Rahmen der planetaren Grenzen.

Brauchen Unternehmen das Argument „Nachhaltigkeit“ auch im Kampf gegen den Fachkräftemangel?

Ja, die neue Generation will wissen, für wen sie ihre Zeit und ihre Energie investiert. Der Anspruch an das Verhalten des Arbeitgebers ist groß. Diese Generation ist leistungsorientiert, sehr reflektiert und international orientiert. Berlins Chance besteht darin, sich als ein Arbeitsmarkt mit nachhaltig ausgerichteten Arbeitgebermarken zu positionieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die jungen Talente sich Herausforderungen in anderen Städten suchen.

Nachhaltigkeit ist für Sie eine Gemeinschaftsaufgabe. Setzen Sie also auf Kooperationen?

Unbedingt. Unter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen ist übrigens das 17. die Kooperation. Uns geht es im Netzwerk Unternehmensverantwortung ja primär auch um das Vernetzen, also Kooperieren. Der Grund ist ganz einfach: Wir wissen, dass wir die besten Lösungen nicht allein finden können. Und vor allem finden wir gemeinsam schneller Lösungen.

von Michael Gneuss