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Zurück in die Zukunft

Ein kanadischer Großinvestor knöpft sich den Potsdamer Platz vor, um dem legendären Areal neue Strahlkraft zu verleihen. Wie das gelingen soll? Ein Besuch auf der Baustelle 
Man möchte heutzutage nicht Entwickler von gewerblichen Immobilien sein. Wohnungen? Klar, die kriegt man jetzt super vermarktet, in jeder geografischen und Preislage. Produktion und Logistik – innerstädtisch ganz schwierig, was die IHK seit Jahren moniert. Büros – ja, trotz Homeoffice-Boom entstehen weitere Objekte, als Investor hat man kaum Leerstand zu befürchten. Einzelhandel – da sind die Grenzen des Wachstums offenbar erreicht. Die East Side Mall eröffnete als 70. Einkaufszentrum in Berlin, da waren die guten Jahre nach der Wiedervereinigung, als Berlin seinen Rückstand bei Handelsflächen aufholen musste, schon vorbei. Schauen Sie sich mal in einer Geschäftsstraße jenseits der Eins-a-Lage um. Der stationäre Handel hat seit Jahren mit sinkenden Besucherfrequenzen, der Umsatzverlagerung in den E-Commerce und steigenden Gewerbemieten zu kämpfen. Dazu kamen seit 2020 immer wieder Lockdowns, Lieferengpässe und krisenbedingt sinkende Kauflaune hinzu.
Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben ein Immobilienportfolio, das all diese Objekte beinhaltet. Und Sie haben lange „vor Corona“ ein ganzes Quartier in Top-Lage erworben, das eine große, weltweit bekannte Historie besitzt, nach dem Mauerfall wie Phönix aus der Asche auferstand und zwar etwas in die Jahre gekommen schien, aber immer noch immense Strahlkraft hat. Den Potsdamer Platz. So ähnlich muss es dem kanadischen Investor Brookfield Properties ergangen sein, der 2015 das Areal von 4,3 Hektar im Zentrum der Hauptstadt erwarb, mit Kinos, Theatern, Hotels, Restaurants und der seinerzeit modernsten und populärsten Shopping-Mall Berlins. Nun ja, Shopping-Malls müssen sich gerade weltweit neu erfinden. Kultureinrichtungen waren die letzten zwei Jahre fast durchgehend geschlossen, Restaurants durften vor allem liefern, und Touristen, von denen der Standort in hohem Maße abhing, blieben weitgehend fern.
Es ist daher nicht nur Zweckoptimismus, den Karl L. Wambach, Executive Vice President Europe bei Brookfield, bei der Führung über die Baustelle am Potsdamer Platz verbreitet. Es ist auch eine Art Trotz. Man habe ein Konzept und werde es durchziehen, so der erfahrene Immobilienmanager. Die Neuerfindung der Mall, die auch nicht mehr „Arkaden“ heißen soll, ist voll im Gange, die Bauarbeiten enden im Herbst. Mehr Licht, hochwertiges Design, Entertainment und vielfältige Gastronomieangebote – nun auch entlang der Linkstraße – sind das Ziel.
Mit Manifesto hat man nun einen Partner gefunden, der in den ehemaligen Arkaden nicht bloß eine überdachte Fressmeile eröffnet, sondern ein ganz neues gastronomisches Konzept für 750 Sitzplätze umsetzt. Groß denken hat an diesem historischen Ort gewisse Traditionen, schließlich hatte Anfang des 20. Jahrhunderts ganz in der Nähe das Weinhaus Rheingold eröffnet, ein Restaurant für bis zu 4.000 Gäste. Und wenn wir schon bei Großprojekten ist – in Sichtweite entsteht nach langen Querelen das Museum des 20. Jahrhunderts, dessen Eröffnung immerhin für 2026 avisiert ist und das den Kulturstandort noch mal aufwerten wird.
Sollte man es daher eine „Flucht nach vorne“ nennen, was Brookfield schon vor einem Jahr angekündigt hat? Das Quartier wird im äußeren Bereich neu gestaltet, mit einer Fußgängerzone in der Alten Potsdamer Straße. Ziel sei „eine deutliche Verbesserung der Qualität des öffentlichen Raumes“, schreiben die Investoren. Die Fläche wird entsiegelt, es werden zusätzliche Bäume gepflanzt sowie ein großes Wasserspiel und ein natürlicher Regenwassergarten angelegt, neue öffentliche Sitzgelegenheiten kommen hinzu. Wer sich nun an manche Visualisierung für die „Flaniermeile Friedrichstraße“ erinnert fühlt, der liegt nicht ganz falsch. Nach Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel sind die Pläne „sehr gut geeignet, den Potsdamer Platz in eine gute Zukunft zu führen“.
Ohne allzu philosophisch zu werden, das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist im Falle dieses Berliner Ortes schon etwas eigen. Die Historie wird immer wieder etwas anders erzählt, und die Gegenwart scheint immer nur eine Vorstufe der Zukunft zu sein. Selbst der Autor dieser Zeilen schrieb schon im April 2019 zu den Bauarbeiten: „Ob nach dem Abschluss 2022 der Potsdamer Platz erneut seine ,Goldenen Zwanziger‘ erleben wird, bleibt abzuwarten. Dass ein weiteres Kapitel dieser filmreifen Geschichte wieder unerwartete Wendungen bereithalten wird, scheint naheliegend.“
Nächstes Jahr wird der neue Potsdamer Platz 25 Jahre alt. Damals als Quartier des 21. Jahrhunderts gefeiert, hat der Standort nicht alle Zukunftsversprechen eingelöst. Nun glaubt wieder ein großer Investor an eine große Zukunft des Areals zwischen Landwehrkanal, Link- und Potsdamer Straße. Ab Herbst 2022 können sich dann die Berlinerinnen und Berliner selbst ein Bild von der geupdateten Gegenwart machen.
von Dr. Mateusz Hartwich