FOKUS | Interview

„Jede Krise ist immer auch eine Chance“

Dr. Armin Seitz ist mit der Moll Marzipan GmbH gut durch die jüngsten Krisenjahre gekommen – auch weil er sich meist früh auf die Probleme einstellen konnte
Gerade für Mittelständler sind intensive Kontakte zu den Geschäftspartnern wichtig, meint Moll-Marzipan-Geschäftsführer Armin Seitz. Denn aus den Gesprächen mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden erhält er wichtige Informationen, die ihm mitunter auch als Signale für bevorstehende Krisen dienen.

Berliner Wirtschaft: In den vergangenen Jahren wurden Unternehmen immer wieder mit neuen Notsituationen konfrontiert. Was macht Ihnen im Moment die größten Sorgen?

Dr. Armin Seitz: Die größte Sorge habe ich davor, dass wir vor lauter Krisen die eine oder andere Entwicklung am Markt nicht erkennen. Die Krisen selbst muss man managen, wenn sie sich ankündigen. Es bringt meiner Ansicht nach wenig, für alle Eventualitäten Notfallpläne in der Schublade zu haben. Ich habe in meinem Leben schon so viele Notfallpläne gemacht, und die haben nie funktioniert, weil doch alles anders kommt, als man es erwartet. Wichtiger ist, dass man flexibel bleibt und schnell Maßnahmen trifft – und natürlich, dass man sein Geschäft im Griff und die Marktentwicklungen im Blick hat.

Welche Krise hat Ihnen zuletzt am meisten zu schaffen gemacht?

Wir sind schon mit unserem tagtäglichen Geschäft sehr gefordert, weil wir in einem sehr hart umkämpften Markt tätig sind. Als Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie standen wir auch nie so im Brennpunkt einer der jüngsten Krisen. Wir sind also recht gut durch die Zeit gekommen. Aber um Ihre Frage konkreter zu beantworten: Mit der Corona-Krise war natürlich nicht zu rechnen. Wir mussten zwar keine Kurzarbeit einführen, aber die Pandemie war ein Beschleuniger für Entwicklungen, für die wir sonst vielleicht zehn Jahre Zeit gehabt hätten.

Was meinen Sie?

Insbesondere denke ich an die Arbeit im Homeoffice. Wir sind ein eher konservativer Betrieb, aber irgendwann hätten wir uns mit modernen Arbeitsformen beschäftigen müssen. Durch Corona sind wir von heute auf morgen in dieses Thema hineingezwungen worden. Das war schwierig. Ich selbst bin kein großer Freund von Homeoffice. Ich schätze, ich habe in den vergangenen drei Jahren vielleicht drei Mal von zu Hause aus gearbeitet. Aber während der Pandemie mussten wir es natürlich ermöglichen, und viele unserer Mitarbeitenden wollen das auch.

Hat Sie nicht auch die Energiekrise schwer getroffen? Sie brauchen schließlich hohe Temperaturen.

Ja, die brauchen wir, sonst schmilzt der Zucker nicht. Aber von den hohen Energiepreisen bin ich nicht überrascht worden. Das hat sich angekündigt. Auch ist uns schon lange klar, dass Unternehmen klimaneutral werden müssen. Wir haben uns schon 2020 das Erreichen der Klimaneutralität für 2023 vorgenommen. Das schaffen wir auch. Aufgrund der höheren Energiepreise rechnen sich unsere energiebezogenen Investitionen besser. Deshalb haben wir Pläne vorgezogen und 2022 noch einmal 15 Prozent unseres Energiebedarfs eingespart.

Also haben Sie sich frühzeitig auf hohe Energiepreise vorbereitet.

Ja, neben den Einsparungen haben wir so weit wie möglich noch günstige Verträge abgeschlossen und versucht, Mehrkosten über den Preis an Kunden weiterzugeben. Der Anteil der Energiekosten an unserem Umsatz ist aber auch nicht so hoch. Er liegt bei etwa zwei Prozent. Fünf Prozent sind Personalkosten. Mehr als 85 Prozent macht der Rohstoffeinkauf aus. Dort ist für uns der Hebel am größten. Glücklicherweise sind zuletzt die Preise für Mandeln – der für uns wichtigste Rohstoff – stabil geblieben oder sogar gesunken.

Haben Sie nicht auch die Lieferkettenproblematik beim Rohstoffeinkauf zu spüren bekommen?

Ja, Mandeln beziehen wir zum größten Teil aus Kalifornien. Während der Corona-Zeit, von Anfang 2021 bis Mitte 2022, hatten wir erhebliche Probleme, weil es unglaublich wenig Kapazitäten in der Container-Schifffahrt gab. Wir mussten deshalb sehr viel höhere Lagerbestände vorhalten, das war schwer und bindet unglaublich viel Kapital. Aber wir haben uns gesagt: Jetzt können wir uns bei unseren Kunden profilieren, wenn wir es schaffen, ohne Lieferunterbrechung weiterzuarbeiten. Wir haben dann die Lagerbestände verdoppelt.

Wie konnten Sie die den Lagerbestand aufbauen, wenn zu wenig Containerschiffe unterwegs waren?

Wir haben das Problem relativ früh gesehen. Unsere Lieferanten hatten uns früh mitgeteilt, dass es immer schwieriger wurde, einen Container zu buchen. Daraufhin haben wir angefangen, ganz massiv Ware abzurufen. Am Ende haben wir es gerade eben geschafft, eine Lieferunterbrechung zu vermeiden.

Sie brauchen aber nicht nur Mandeln aus Kalifornien.

Richtig. Wir brauchen jede Nuss, außer Erdnüsse, weil die Gefahr allergischer Reaktionen hoch ist. Haselnüsse beziehen wir aus der Türkei und aus Georgien. Da war es so, dass ein georgischer Fahrer zu uns gekommen war und nach der Rückkehr drei Wochen in Quarantäne musste. Es war dann sehr schwer, überhaupt noch Fahrer zu motivieren, zu uns zu kommen, weil sie dann drei Wochen nichts verdienen konnten. In Georgien ist es mit der Lohnfortzahlung ja anders als bei uns. Wir haben die Haselnüsse dann vom Schwarzen Meer aus per Schiff kommen lassen. Wir haben eigentlich immer Lösungen gefunden.

Sie haben also reichlich Erfahrung im Krisenmanagement gesammelt.

Bei schönem Wetter kann jeder alles. Bei schlechtem Wetter muss man es können. Wir haben investiert und frühzeitig Ware abgerufen. Vor allem kennen wir uns sehr gut auf unseren Märkten aus und haben zuverlässige Partner. Aber das muss man sich langfristig aufbauen. Damit kann man nicht erst anfangen, wenn sich eine Krise ankündigt. Aber jede Krise ist immer auch eine Chance.

Haben Sie Spaß an diesem Krisenmanagement?

Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung, sich zu überlegen, wo Bedrohungen entstehen. Das gehört nun mal zu den Aufgaben eines Managements. Wir haben aber keine feste Strategie dafür. Man muss sich einfach mal Zeit für entsprechende Überlegungen nehmen. Vieles lässt sich dann schon vorab erahnen.

Ist das für Sie ein Routineprozess?

Nein, darüber kann ich auch am Wochenende nachdenken, wenn ich mit dem Hund draußen bin, oder spontan nach Gesprächen mit Geschäftspartnern, wenn ich wichtige Informationen aufschnappe. Das sind Momente, die ich ganz gern mag, weil man auf gute Ideen kommt und Maßnahmen mitunter früher als die Konkurrenz entwickeln kann.

Wie stark treffen Sie die diversen Preissteigerungen?

Es hängt immer davon ab, welcher Hebel wirkt. Prozentual ist es natürlich bitter, wenn ein Container statt 1.800 Dollar plötzlich 3.500 Dollar kostet. Wenn wir aber Ware im Wert von 100.000 Dollar darin transportieren, relativiert sich das. Ein starker Anstieg der Mandelpreise würde uns mehr treffen.

Aber summieren sich die Kostenanstiege nicht?

Ja, natürlich. Plastik für Verpackungen ist viel teurer geworden. Holz für Paletten auch. Der Zuckerpreis hat sich verdoppelt. Im Juli bekommen wir einen neuen Tarif, der die Personalkosten um vielleicht sieben Prozent erhöhen könnte. Aber auch damit war zu rechnen. Hinzu kommen die höheren Zinsen, die die Lagerhaltung beträchtlich erhöhen.

Wie reagieren Sie auf den Kostenanstieg?

Wir waren bislang in der glücklichen Lage, einen Teil der Mehrkosten an Kunden weitergeben zu können. Den anderen Teil müssen wir durch Effizienzsteigerung kompensieren, vor allem dort, wo der Hebel groß ist. Das ist bei uns der Materialeinsatz. Wir optimieren ihn ständig. Wir freuen uns schon, wenn wir irgendwo 0,05 Prozent einsparen können. Unsere Mitarbeitenden machen gut mit. In den vergangenen Jahren haben wir immer mehr als 50 Vorschläge von ihnen erhalten – sehr oft in Bezug auf den Materialeinsatz und Energieeinsparungen. Es sind fast alle Vorschläge auch realisiert worden. Die Prämien dafür zahle ich gern.

Was unternehmen Sie, um Trends bei Rohstoffpreisen und Rohstoffverfügbarkeit aufzuspüren?

Es ist für uns ganz wichtig, persönliche Kontakte zu pflegen. Wir sind mindestens einmal im Jahr in Kalifornien, um zum Beispiel mit Farmern zu sprechen. Natürlich können wir auch in Videokonferenzen kommunizieren. Aber wenn wir in der Woche 25 Farmer abklappern, bekommen wir schon ein viel detaillierteres Bild. Daraus erzielen wir einen Wettbewerbsvorteil.
von Michael Gneuss