Innovation und Umwelt

Energiewende-Barometer 2023

Mit dem Energiewende-Barometer soll die Sicht der Wirtschaft auf die Defizite der Energiewende ebenso klar benannt werden wie die Fortschritte und Erfolge. Es beruht auf einer jährlichen Umfrage der IHK zu Energiemaßnahmen der Betriebe, zur Energieversorgung, Auswirkungen der Energiewende auf die Betriebe und zu Forderungen an die Politik.

Entwicklungen in der Energiepolitik und -wirtschaft und deren Auswirkungen auf die Berliner Wirtschaft 

Der Anstieg der Energiepreise führt zu geringeren Investitionen und einer Weitergabe von Kosten
78 Prozent der Unternehmen sehen sich in den vergangenen zwölf Monaten mit höheren Energiepreisen konfrontiert, 83 Prozent mit höheren Strompreisen. Für über die Hälfte der Unternehmerschaft (54 Prozent) spielen demnach die schwankenden Energiepreise der vergangenen Monate eine bedeutende Rolle. Die steigenden Energiepreise haben nicht nur zur Folge, dass ein beträchtlicher Anteil (60 Prozent) der Unternehmen die zusätzlichen Energiekosten an ihre Kunden weitergeben musste oder dies noch plant zu tun, sondern führen auch zu einem verstärkten Rückgang von wichtigen Investitionen. Insbesondere wurden Investitionen in Kernprozesse reduziert, ebenso wie Mittel für Klimaschutzmaßnahmen sowie für Forschung und Innovationen. Diese Entwicklung verdeutlicht die erheblichen Auswirkungen, die die steigenden Energiepreise auf die unternehmerische Planung und finanzielle Handlungsspielräume haben. Besonders besorgniserregend ist der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland durch die hohen Energiepreise (37 Prozent). 
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der hohen Preise für Energie auf Investitionen?
Die Energiewende hinterlässt negative Spuren: Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist zunehmend gefährdet und Produktionen werden ins Ausland verlagert
Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gerät zunehmend in Gefahr. Während 2020 die positiven Effekte der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit noch leicht überwogen, stufen aktuell 45 Prozent der Unternehmen die Auswirkungen als negativ bis sehr negativ ein – in 2020 waren es nur 17 Prozent. Im Vorjahr bewertete noch ein Viertel der Unternehmerschaft die Auswirkungen als positiv. 2023 sind es nur noch 16 Prozent.
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens?
Ein ebenfalls besorgniserregender Trend zeigt sich in der Verlagerung von Kapazitäten und Produktionen ins Ausland. In den letzten drei Jahren hat die Anzahl der Unternehmen, die überlegen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, kontinuierlich zugenommen. Im laufenden Jahr 2023 geben 19 Prozent der Unternehmen an, Pläne zur Verlagerungen zu verfolgen. Im Bundesvergleich wird deutlich, dass der Wirtschaftsstandort Berlin hiervon in besonderem Maße betroffen ist. 
Die Energiewende hinterlässt positive Spuren: Neue Geschäftsfelder werden erschlossen und neue Absatzmärkte geschaffen
Veränderungen bieten jedoch auch neue Chancen. Für fast ein Viertel der Unternehmen (24 Prozent) hat der tiefgreifende Wandel in der Energiebranche es ermöglicht neue Geschäftsfelder zu erschließen bzw. sich entsprechenden Maßnahmen zu widmen. Die Energiewende bewirkt jedoch nicht nur inländisch eine Transformation der Energiebranche, sondern führt auch zu einer signifikanten Erschließung neuer Absatzmärkte im Ausland. So planen 15,5 Prozent der Unternehmen Maßnahmen, um neue Absatzmärkte im Ausland zu erschließen, befinden sich derzeit in der Realisierung oder haben hierzu bereits entsprechende Schritte umgesetzt.
Die Lage zur Energieversorgung hat sich etwas entspannt
Das vergangene Jahr war durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der daraus resultierenden Gasdrosselung stark geprägt, sodass die Bedeutung von Störungen in der Gasversorgung bei Unternehmen entsprechend um 22 Prozentpunkte angestiegen ist. Durch den Bau von LNG-Terminals, neuen Gaslieferverträgen und auch Energieeinsparungen hat die Sorge um Störungen in der Gasversorgung in 2023 wieder um 16 Prozentpunkte abgenommen. Die Bedeutung von Störungen in der Stromversorgung fällt ähnlich aus wie zum vergangenen Jahr. Für 22 Prozent ist das Thema wichtiger geworden, für über die Hälfte (53 Prozent) jedoch gleichgeblieben.

Betrieblicher Klimaschutz – Welche Maßnahmen setzen die Unternehmen um?

In Berlin haben Unternehmen erkannt, dass sie eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen und ihren Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen leisten können. 
Energieeffizienz
Ein wichtiger Aspekt des betrieblichen Klimaschutzes ist die Energieeffizienz. Im Jahr 2022 haben 60 Prozent der Unternehmen Maßnahmen geplant oder bereits am Laufen gehabt, um die Energieeffizienz im Betrieb zu steigern. Dieser Antrieb hing damit zusammen, dass auch die Bedeutung von Energieeinsparungen u.a. durch die steigenden Preise für Rohstoffe und Energie, um 39 Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2021 angestiegen ist. Für das Jahr 2023 ist zwar ein minimaler Rückgang von 4 Prozent zu verzeichnen, jedoch sind für über 60 Prozent Energieeinsparungen immer noch von hoher Bedeutung. 23 Prozent geben demnach an bereits Energieeffizienz-Maßnahmen umgesetzt zu haben, während 36 Prozent noch Maßnahmen plant oder derzeit realisiert. 
Mehr als zwei Drittel der Berliner Unternehmen investieren in effiziente Technologien, um den Energieverbrauch zu reduzieren und damit auch ihre Kosten zu senken. Darüber hinaus setzen viele Unternehmen auf die Digitalisierung und Automatisierung von Messinfrastruktur und Steuerungsprozessen, um u.a. den Energieverbrauch zu überwachen und zu optimieren. 
Erneuerbare Energien und Wärmeerzeugung 
Neben dem stetigen Einsatz von Energieeffizienzmaßnahmen, werden auch verstärkt erneuerbare Energien eingesetzt. 36 Prozent planen oder setzen derzeit Maßnahmen um oder haben bereits Maßnahmen realisiert, um auf erneuerbare Energien (z.B. Biomasse, Geothermie) sowie auf CO2-ärmere Wärmeerzeuger (z.B. Wärmepumpen) umzusteigen. 33 Prozent plant außerdem den Aufbau eigener erneuerbarer Energieerzeugungskapazitäten oder hat hierzu noch laufende Maßnahmen. Ein kleiner Teil der Berliner Wirtschaft (13 Prozent) nutzt bereits Abwärme oder befindet sich im Prozess, während Wasserstoff noch so gut wie gar nicht genutzt wird. Jedoch planen hier 7 Prozent dies zukünftig zu tun. 
Mobilität
Im Bereich der Mobilität planen 42 Prozent der Unternehmen, Elektrofahrzeuge anzuschaffen, befinden sich derzeit in der Anschaffungsphase oder haben diese bereits in ihren Betriebsalltag integriert.  
Zusätzlich haben 14 Prozent der Unternehmen die erforderliche Ladeinfrastruktur implementiert oder setzen derzeit Maßnahmen hierzu um. Weitere 12 Prozent planen gegenwärtig den Aufbau einer passenden Ladeinfrastruktur. Darüber hinaus haben 16 Prozent der Unternehmen die Absicht, Fahrzeuge mit alternativen Antrieben, wie beispielsweise Wasserstoff, in ihre Fahrzeugflotte zu integrieren. 
Klimabilanz
Viele Unternehmen bemühen sich außerdem ihre Klimabilanz nach anerkannten Standards zu berechnen, um ihre direkten und indirekten Emissionen zu erfassen und zu reduzieren.
Fasst man die Kategorien geplante, laufende sowie realisierte Maßnahmen zusammen, so berechnen 19 Prozent der Unternehmen ihre Klimabilanz hauptsächlich auf der Grundlage der direkten Emissionen. Dies beinhaltet Emissionen, die direkt aus den Aktivitäten des Unternehmens resultieren, wie zum Beispiel die Verbrennung von fossilen Brennstoffen zur Beheizung von Gebäuden oder für betriebliche Prozesse. Weitere 15 Prozent der Unternehmen berücksichtigen nicht nur ihre direkten Emissionen, sondern auch ihre indirekten Emissionen aus dem Bezug von Strom, Dampf und Fernwärme. 22 Prozent der Unternehmen verfolgen einen noch umfassenderen Ansatz, indem sie indirekte Emissionen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette einbeziehen. Hierzu zählen zum Beispiel die Emissionen, die durch eingekaufte Waren und Dienstleistungen entstehen, aber auch Dienstreisen, Pendlerverkehr und logistische Prozesse. Dieser ganzheitliche Ansatz ermöglicht es den Unternehmen, ihre Klimabilanz umfassend zu verstehen und gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um Emissionen in der gesamten Lieferkette zu reduzieren.
Obwohl im Vergleich zu den Vorjahren ein deutlicher Trend hin zu einem stärkeren Fokus auf Klimaverantwortung und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft festgestellt werden kann, zeigen die aktuellen Daten, dass immer noch beachtlicher Teil der Unternehmen ihren eigenen CO2-Fußabdruck nicht angemessen berücksichtigt. Der aktuelle Trend zu mehr Klimaverantwortung ist ein positiver Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt eine dringende Notwendigkeit, Unternehmen weiterhin zu ermutigen und zu unterstützen, nachhaltige Geschäftspraktiken zu verankern und den Klimaschutz zu einem integralen Bestandteil ihrer Geschäftsstrategien zu machen.
Ausrichtung auf klimaschonende Produkte und Umstellung der Lieferkette
Im Rahmen des betrieblichen Klimaschutzes spielt die Ausrichtung auf nachhaltige und klimaschonende Produkte und Dienstleistungen eine entscheidende Rolle. Demnach legt bereits ein Drittel der Berliner Unternehmen großen Wert auf Produkte und Dienstleistungen, die auf erneuerbare Energien setzen und umweltfreundliche Methoden anwenden. Weitere 18 Prozent haben vor hierzu Maßnahmen umzusetzen. Ein ähnlicher Trend zeigt sich auch in Bezug auf die Umstellung der eigenen Lieferkette auf klimaschonende Vorprodukte. Rund 30 Prozent der Unternehmen haben bereits aktiv Schritte unternommen, um nachhaltigere Beschaffungspraktiken zu implementieren. Weitere 9 Prozent planen zukünftig eine nachhaltigere Beschaffung in ihre Geschäftspraktiken zu integrieren.

Bestehende Hürden und Anforderungen an die Politik 

Die größte Hürde für Unternehmen bei ihren Bemühungen um mehr betrieblichen Klimaschutz bleibt nach wie vor die übermäßige Bürokratie. Anders als im vergangenen Jahr, geben derzeit vier von zehn Unternehmen an, dass die mangelnde Informationslage, Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik äußerst problematisch sind. Unsicherheiten bezüglich zukünftiger energiepolitischer Maßnahmen und Regelungen erschweren es den Unternehmen, langfristige Strategien für den Klimaschutz zu entwickeln und umzusetzen.
Was sind die drei größten Hindernisse bei Ihren Transformationsbemühungen für mehr Klimaschutz?
Die anhaltend hohen Energiepreise und das beständige Problem des Fachkräftemangels wirken sich weiterhin negativ auf die Fähigkeit der Unternehmen aus, ihre Anstrengungen im Bereich Energie- und Klimaschutz zu verstärken. 
Aus Sicht der Unternehmen sind verbesserte Rahmenbedingungen für die Eigenversorgung und Direktlieferverträge von entscheidender Bedeutung, um die Energiewende und den betrieblichen Klimaschutz voranzutreiben (84 Prozent). Wichtige Leitprinzipien, die dabei weiterhin beachtet werden sollen, sind die Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit (66 Prozent).
Als drittwichtigste politische Maßnahme wird eine weitere Senkung der Steuern und Abgaben auf den Strompreis gesehen (53 Prozent). Die derzeitigen Strom- und Gaspreisbremsen werden von lediglich 17 Prozent der Unternehmen als hilfreich empfunden, was darauf hinweist, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die finanzielle Belastung der Unternehmen in Bezug auf Energiekosten signifikant zu mindern.
Um die angestrebten Energie- und Klimaziele sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene zu erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, ein stabiles und attraktives Umfeld zu schaffen, das nachhaltige Energiepraktiken fördert, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu gefährden. Ein solches Umfeld sollte die Unternehmen ermutigen und motivieren, sich aktiv und schnellstmöglich an betrieblichen Klimaschutzmaßnahmen zu beteiligen. Durch eine kooperative und zielgerichtete Zusammenarbeit können Politik und Wirtschaft gemeinsam den Weg zu einer kohlenstoffarmen und nachhaltigen Zukunft ebnen.
An der Umfrage haben sich 119 Unternehmen der Branchen Bau, Industrie, Handel und Dienstleistungen aus Berlin beteiligt. Besonders hervorzuheben ist, dass 65 Prozent der Rückmeldungen aus dem Dienstleistungssektor stammen.