Branchen

HardTech auf der Baustelle

Trifft Robotik-Start-up auf Malerbetrieb, begegnen sich zwei Welten. Dennoch: Genau hier können innovative Partnerschaften die Wirtschaft beflügeln.
Start-ups innovieren die Wirtschaft. Auch deren traditionellsten Bereich, das Handwerk. Dessen Strukturen sind kleinteiliger, vielfältiger und damit für Gründer mit Handwerksfokus herausfordernd. Da trifft es sich gut, dass zukunftsorientierte Handwerksbetriebe zunehmend die Zusammenarbeit mit technologiebasierten Gründungen suchen.
„Als Unternehmer ist es schlicht meine Aufgabe, zu schauen, wie ich zukünftig am Markt bestehen kann“, erklärt Robert Sachs, Inhaber des Unternehmens Malermeister Sachs. „Unsere Aufträge werden immer komplexer, der Fachkräftemangel und die Ausbildungsqualität machen uns zu schaffen. Wie wollen wir in zehn Jahren arbeiten?“ Sachs erkennt daher sofort die Chance, als ihm das Berliner Start-up ConBotics vorschlägt, an der Entwicklung eines Maler-Roboters mitzuwirken. ConBotics ist als HardTech-Start-up Teil der aufstrebenden Branche, deren Fokus auf innovativen Technologien rund um Hardware liegt. „Wir brauchen einen Maler-Roboter als dritten Arm des Malers“, ergänzt Sachs nachdrücklich.
Allgemeingültig ist diese Einstellung leider noch nicht. „Als wir Kooperationspartner für die Entwicklung von Prototypen suchten, schlug uns erhebliche Skepsis aus der Branche entgegen“, weiß Cristian Amaya zu berichten, einer der Gründer von ConBotics. Mehr als einmal stand das Projekt auf Messers Schneide.
ConBotics ist ein Bilderbuchkind der Berliner Forschungslandschaft. Drei Gründer, Robotik- und Softwareingenieure, Absolventen der TU und Fraunhofer-Forscher, die sich nicht länger damit zufriedengeben, dass ihre Kreationen im Keller stehen und Staub ansetzen. Also gründen! Die Idee ist bereits gefunden: ein Roboter, der Malern zur Hand geht. Die Gründungsförderung – sie ebnet den Weg. Das Berliner Startup Stipendium erhalten sie 2020, EXIST-Förderung schließt sich an. Danach gründen sie 2021 ConBotics, erhalten ProFIT-Förderung. Die Innovationsberatung der Berliner Handwerkskammer und die Technische Beratungsstelle des Landesinnungsverbandes Berlin-Brandenburg unterstützen das Projekt bereits im frühen Stadium, im Charlottenburger Innovations-Centrum der Wista finden sie Räume.

Vernetzung im Gewerbehof 2.0

Der Sprung aus dem Gründungs- und Tüftlerstadium hin zum produzierenden Unternehmen erweist sich jedoch als schwierig. Um aus der Invention eine Innovation – sprich: ein handelbares Produkt – zu formen, bedarf ConBotics eines Netzwerks aus Pilotkunden und Produktionspartnern. Und Investoren. Doch diese machen sich zuerst rar. „Partner für HardTech-Gründungen finden sich eher im Süden des Landes“, resümiert Amaya. Schließlich wird der Farbenhersteller Bito AG auf ConBotics aufmerksam. Deren Inhaber Joachim Spitzley wird Ankerinvestor, die Malerbetriebe Robert Sachs sowie Borst & Muschiol gehen als Pilotnutzer voran.
Vier Jahre Entwicklungszeit sind bisher verflossen. In diesem Jahr erfolgt der offizielle Markteintritt auf der Kölner Leitmesse für Farben FAF. Dennoch bedarf es weiterer Entwicklung, bis der Roboter mit Sprühpistole auf Baustellen ein gewohnter Anblick sein wird. Es braucht kooperations- und experimentierwillige Partner, vor allem aus dem Malerhandwerk, um das Produkt zu vervollkommnen. „Bei HardTech-Innovationen müssen sich die zukünftigen Kunden als Beta-Tester einbringen“, erklärt Amaya. „Man benötigt einen langen Atem.“ Diese innovationsoffene Mentalität finde sich aber im deutschen Handwerk und Mittelstand noch zu selten. Für den Erfolg von HardTech-Gründungen ist sie aber unabdingbar. Die Unterstützungsstrukturen seitens der Kammern und Verbände sind vorhanden. Potenziale liegen darin, im traditionellen Handwerk unbekannte Wege zu gehen und Neues zu wagen.
Die Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Start-up-Welt, gegenseitiges Verstehen und Vertrauen sind also weiterhin zu befördern. Dieser Aufgabe nimmt sich das Projekt Gewerbehof 2.0. an. In der Lichtenberger Bornitzstraße errichtet die Wista Management GmbH in den kommenden fünf Jahren einen modernen Gewerbehof für Handwerksbetriebe und Start-ups in der Tradition der legendären Berliner Mischung.
„Ziel ist es, die Vernetzung von zukunfts-orientiertem Handwerk und innovativen Start-ups in einem Gebäude realisieren zu können“, erklärt Projektleiter Lukas Becker. Die unteren Etagen sind für große Traglasten und handwerkliche Ansprüche ausgelegt. Die darüber liegenden Stockwerke sind für Start-ups vorgesehen. Hinter dem Gewerbehof 2.0 steht zum einen der Wunsch, Handwerk im urbanen Raum einen Ort zu schaffen, „auch aus dem Aspekt der Daseinsfürsorge heraus“, so Becker. Dazu kommt das Ziel, durch räumliche Nähe kooperatives Handeln zwischen den doch recht unterschiedlichen Welten zu erleichtern. Das Lichtenberger Projekt soll nur das erste sein. Weitere Berliner Gewerbehöfe 2.0 sollen folgen.
Start-ups und Handwerk dürften also in Berlin zukünftig eine wachsende Infrastruktur für kooperative Projekte vorfinden. Voraussetzung für deren Erfolg ist die Offenheit beider Seiten für die Eigenarten des jeweils anderen. Dann gilt, dass Start-up und Handwerk in Berlin goldenen Boden haben.
von Christian Nestler