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Karstadt heißt jetzt Kalle

Klassische Warenhäuser scheinen ihre besten Jahre gesehen zu haben. Hinter den vertrauten Fassaden tun sich völlig neue Welten auf.
Die Turbulenzen des österreichischen Immobilienkonzerns Signa Holding, verbunden mit einer neuerlichen Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof, haben die Frage nach der Zukunft von Warenhäusern wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt. Politische und zivilgesellschaftliche Akteure präsentieren neue Ideen für die Standorte. Auch in der Hauptstadt sind davon mehrere Objekte betroffen: kürzlich geschlossene, aktuell funktionierende und auch solche, die eigentlich erweitert werden sollten.
Mit der Umnutzung ehemaliger Kaufhäuser hat Berlin einige Erfahrung. Kaum hatte Rudolph Karstadt seine Hauptverwaltung von Hamburg an den Alexanderplatz verlegt (sie wurde nach Plänen von Philipp Schaefer 1932 fertiggestellt), wurde das Gebäude 1934 ans Reichsfinanzministerium verkauft. Heute wird es von der Senatsbildungsverwaltung genutzt. So gesehen knüpfen die Pläne des Kultursenators, die einzige Deutschlandniederlassung der Galeries Lafayette in der Friedrichstraße nach der Schließung Ende 2024 zur Bibliothek umzubauen, an lange Traditionen an. Aber auch die jüngste Historie zeigt, dass ehemalige Kaufhausobjekte durchaus eine Chance zur Umnutzung haben.

Aufwendige Umgestaltung und Sanierung

Das Warenhaus Jandorf in der Brunnenstraße ist so ein Beispiel. Seit 1945 diente es nicht mehr dem Handel, Anläufe zur Wiederbelebung dieser Funktion gab es immer wieder nach 1990, aber seit der Sanierung 2019 fungiert es als Bürogebäude und Showroom für Daimler und BMW. Die frühere Kaufhof-Filiale am Ostbahnhof wurde 2017 bis 2021 ebenfalls in ein Bürogebäude verwandelt, wichtigster Mieter ist der Berliner Onlinehändler Zalando. Das ehemalige „Bilka“- und (bis 2020) „Karstadt Sports“-Kaufhaus an der Joachimsthaler Straße erfuhr bis Mitte Januar eine kulturelle Zwischennutzung, ab 2025 soll ein multifunktionales Kultur- und Veranstaltungszentrum darin eröffnen. Eine bemerkenswerte Entwicklung nahm der Umbau des ehemaligen Karstadt-Schnäppchencenters (auch bekannt als SinnLeffers-Kaufhaus) an der Neuköllner Karl-Marx-Straße. Das zwischenzeitlich als „101 Neukölln“ fungierende Projekt wird als „Kalle Neukölln“ in diesem Jahr wiedereröffnet. Nach aufwendiger Sanierung und Umgestaltung entstanden dort 26.000 Quadratmeter Büro-, 6.000 Quadratmeter Gastronomie- und 4.000 Quadratmeter Handelsfläche sowie eine öffentlich zugängliche begrünte Dachterrasse.
Dazu äußerte sich Hans Stier, Partner beim Projektentwickler Maruhn Real Estate Investment GmbH (MREI), so: „Wir haben hier ein völlig neues Nutzungskonzept entworfen, das in Europa bisher einzigartig ist. Aus dem ehemaligen Kauf- und Parkhaus haben wir einen Gesamtkomplex gemacht, der etwa durch die Schaffung eines Atriums, aber auch durch die Dachterrasse freundlich, hell und topmodern ist.“ Besonderen Wert lege MREI darauf, „nicht wie ein Ufo wahrgenommen zu werden“. Kalle Neukölln solle sich in die Umgebung einfügen.
Zum 31. Januar endete vorerst die Kaufhaustätigkeit an zwei Berliner Galeria-Standorten: der Müller- und Wilmersdorfer Straße. Diese Schließungen wurden bereits im März 2023 bekannt gegeben, noch vor den aktuellen Turbulenzen bei Signa. Beide Filialen wurden noch 2020 im letzten Moment von der Streichliste entfernt, als Galeria Karstadt Kaufhof im Zuge der Corona-Pandemie zahlreiche Standorte zur Disposition stellte. Nach Verhandlungen mit dem damaligen rot-grün-rotem Senat wurden vier Objekte „gerettet“, im Rahmen einer gemeinsamen Absichtserklärung. Dieser „Letter of Intent“, der die Erweiterung der Signa-Immobilien vor allem am Kurfürstendamm und am Hermannplatz vorsah, steht seitdem in der Kritik. Nach der Insolvenz der Signa Holding im November 2023 forderten Vertreter von Grünen und Linken in Berlin die Kündigung der Vereinbarung seitens der Stadt.

Umnutzungen in vollem Gange

Wenn man den Blick weitet, fallen weitere erbauliche Fälle für Kaufhausumnutzungen auf: In Chemnitz wurde „Das Tietz“ für das Naturkundemuseum, die Sächsische Galerie, die Stadtbibliothek und die Volkshochschule neu eingerichtet. Das einstige Kaufhaus Schocken, ebenfalls in Chemnitz, zum Archäologischen Museum Sachsens, in Plauen zog das Landkreisamt ins einstige Kaufhaus Horten. Nach der avisierten Schließung der Hanauer Niederlassung von Galeria will die Stadt die Immobilie kaufen, teilte Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) mit. Das Land Hessen vergab Ende 2023 gut drei Mio. Euro an fünf Städte, die Konzepte für Galeria-Immobilien entwickelt haben. In den meisten Fällen ist von einer Mischung aus Handel, Gastronomie, Gewerbe, Kultur und öffentlicher Nutzung die Rede.
Von Dr. Mateusz Hartwich