Fokus

Alles fließt

Damit Berlin in Bewegung bleibt, muss sich vieles bewegen. Der Ausbau des Nahverkehrs gehört ebenso dazu wie eine intakte Infrastruktur und innovative Transportlösungen.
Berlin ist und bleibt in Bewegung. Aber wie lässt sich in Zukunft eine klimafreundlichere Mobilität in der Hauptstadtregion im Einklang mit den ambitionierten Zielen des Senats erreichen? Mit entscheidend ist ein verändertes Mobilitätsverhalten. Der Fokus liegt auf dem multimodalen Verkehr, der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege. Das schont die Umwelt und schafft  mehr Kapazität für den Wirtschaftsverkehr. Dafür braucht es sichere Rad- und Gehwege sowie ein aktives Parkraummanagement, aber auch neue Mobilitätsangebote und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).
Für eine attraktive Weiterentwicklung des ÖPNV zieht der Senat ein System von Magnetschwebebahnen in Betracht. Den Streckenverlauf oder einen Termin für den Baubeginn gibt es bislang nicht. „Die Magnetschwebebahn kann viel mehr, als ,nur‘ öffentliches Nahverkehrsmittel sein“, ist Ute Bonde überzeugt. „Mit der Magnetschwebebahn haben wir die Möglichkeit, nicht nur ein innovatives, die anderen Verkehrsmittel sinnvoll ergänzendes Nahverkehrsmittel nach Berlin zu bringen, sondern insbesondere auch, mit ihm die Stadt der Zukunft hin zu einer Schwammstadt gestalten zu können“, fügt die Geschäftsführerin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) hinzu. Solarpaneele auf dem Bauwerk dienten der Energiegewinnung, der Bewuchs entlang der Fahrspuren und an den Stützen der Begrünung und Kühlung der Stadt. Darüber hinaus lieferten Entsiegelungsmöglichkeiten unterhalb der Trasse ein vielfältiges Potenzial für eine lebenswerte Stadt mit hoher Aufenthaltsqualität.
Im Vergleich zu anderen öffentlichen Verkehrsträgern gebe es weitere Vorzüge: „Die Bahnen können ohne Fahrpersonal unterwegs sein, was angesichts der andauernden Personalknappheit ein wichtiger Faktor ist, sie sind sehr leise und stehen weder im Stau, noch verursachen sie einen“, ergänzt Ute Bonde. „Zudem könnten sie auch Güter transportieren und damit zur Entlastung des Innenstadtverkehrs beitragen.“ Kurzum: Nach Überzeugung der VBB-Geschäftsführerin ist die Magnetschwebebahn ein wesentlicher Baustein eines „Mobilitätskonzepts 2035“.
Es ist nicht das einzige Projekt, das für den dringend benötigten Ausbau der Kapazitäten des ÖPNV sorgen könnte. Zu den zentralen Elementen für mehr klimafreundlichen Nahverkehr zählt schon länger das von Berlin, Brandenburg und der DB begleitete Infrastrukturprojekt mit dem Namen „i2030“. Dahinter steht eine Vielzahl von Ausbauprojekten in der Hauptstadtregion. Einige gehen laut VBB jetzt von der Planung in die Phase der baulichen Umsetzung über. So finanziert das Land Berlin etwa erste vorgezogene Baumaßnahmen bei der geschichtsträchtigen Siemensbahn. Nach heutigem Planungsstand könnte die von Jungfernheide über knapp viereinhalb Kilometer nach Gartenfeld verlaufende Bahn Ende 2029 in Betrieb gehen. Auch bei der Heidekrautbahn geht es gut voran: In diesem Jahr beginnen die Bauarbeiten an der Station Wilhelmsruh. Künftig wird die Strecke Berlin-Gesundbrunnen mit den Landkreisen Barnim und Oberhavel verbinden.

Tram-Ausbau und Vision BVG 2050+

Wie eine erfolgreiche Mobilitätswende aussehen könnte, beschäftigt auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Sie setzt unter anderem auf den Ausbau der Tram. Aktuell sind gleich acht Straßenbahn-Neubaustrecken in unterschiedlichen Projektphasen in Bearbeitung. Wenn alles planmäßig verläuft, können Fahrgäste am Ende dieses Jahrzehnts zum Beispiel vom Alexanderplatz über den Potsdamer Platz bis zum Kulturforum oder auch von Jungfernheide über die Urban Tech Republic bis zum U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz mit der Tram fahren.
Im vergangenen Jahr hat die BVG ihre Vision für den Nahverkehr in Berlin vorgestellt. Die Vision „BVG 2050+“ umfasst massive Verlängerungen der vorhandenen U-Bahn-Strecken, um schnelle Direktverbindungen für bis zu einer Million Menschen außerhalb der Innenstadt anbieten zu können. Gleichzeitig sollen zwei neue Linienäste in den Nordosten aktuell noch fehlende Schnellverbindungen schaffen. Nicht zuletzt beinhaltet die BVG-Vision eine komplett neue U-Bahn-Ringlinie, mit deren Hilfe leistungsstarke und direkte Querverbindungen zwischen den wichtigen Zentren der äußeren Stadt entstehen könnten.
„Wer bei Klimazielen groß und ehrgeizig denkt, muss das auch beim Ausbau des Nahverkehrs tun. Die jetzt beschlossene Verlängerung der U3 ist deshalb ein wichtiges Signal“, betont Robert Rückel. Notwendig seien aber darüber hinaus Taktverdichtungen sowie die Sanierung und Ertüchtigung der bestehenden Strecken. „Um in Zukunft bei viel weniger Individualverkehr genauso mobil zu sein, braucht die Hauptstadtregion attraktive Alternativen“, so der Vizepräsident der IHK Berlin weiter.
„Während wir darüber diskutieren, ob die Vision eines U-Bahn-Ringes zu groß ist, wird dieser in Paris schon längst gebaut.“ Nach Überzeugung Rückels benötigt Berlin dringend einen Masterplan für den Nahverkehr der Zukunft, der weit über eine Legislaturperiode hinausweist. „BVG 2050+ ist also genau der richtige Ansatz!“ Ein konkretes Beispiel für die Expressmetropole Berlin liefert die U7. „Die Verlängerung der U7 bis zum BER ist ein entscheidendes Infrastrukturprojekt, um das boomende Flughafenumfeld eng mit den Wohn- und Gewerbestandorten in Berlin zu verknüpfen“, sagt der IHK-Vizepräsident. „Ein Umstieg auf die U-Bahn ist für Pendler in beide Richtungen attraktiv, reduziert den Autoverkehr und schont das Klima.“
Für einen reibungslos fließenden Wirtschaftsverkehr muss aber noch mehr getan werden. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Erneuerung der Infrastruktur. Zu den Hauptschlagadern des Berliner Wirtschaftsverkehrs gehört die A100. Die Stadtautobahn ist stark baufällig. „Deswegen planen und realisieren wir entlang der A100 drei Großprojekte: den Umbau des Autobahndreiecks Funkturm, den Ersatzneubau der Rudolf-Wissell-Brücke mit Umbau des Autobahndreiecks Charlottenburg sowie den Ersatzneubau der West- endbrücke“, sagt Andreas ­Irngartinger, der für die Berliner Projekte zuständige Bereichsleiter der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES). Alle drei Projekte befinden sich derzeit in der Genehmigungsphase. Je nach weiterem Verlauf der Genehmigungsverfahren können die für die Verkehrsteilnehmenden spürbaren Arbeiten ab 2025 beginnen.

Stadtautobahn wird noch lange gebraucht

Dabei wird sichergestellt, dass der Verkehr auch während der Bauphase weiter über die Stadtautobahn fließen kann. „Aber es stimmt natürlich: Vermeiden lassen sich baubedingte Verkehrseinschränkungen nicht“, weiß der Bereichsleiter der DEGES. „Wir sagen das ganz offen: Den Berliner Verkehrsteilnehmenden steht eine Zeit voller Herausforderungen bevor, aber eine sinnvolle Alternative gibt es nicht“, fügt Andreas Irngartinger hinzu. „Wir tun alles, um die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten, zum Beispiel indem wir hier weitgehend die gleiche Anzahl an Fahrspuren anbieten wollen wie heute.“ Nach Überzeugung ­Irngartingers wird die Stadtautobahn genauso wie die ebenfalls baufällige A111 oder die Avus übrigens auch noch in vielen Jahren gebraucht, denn leistungsfähige und verkehrssichere Bundesfernstraßen sind auch die Voraussetzung für Innovationen wie das autonome Fahren.
Für den funktionierenden Wirtschaftsverkehr der Zukunft werden neben der Umsetzung guter Ideen für die Erneuerung der Infrastruktur auch innovative Lösungsansätze für eine effiziente Organisation der Paketlogistik in den Berliner Kiezen gesucht. „Der Versand an Paketstationen beziehungsweise Spätis sollte wesentlich günstiger sein als die Lieferung an die Haustür. Das würde die Menschen dazu bringen, ein paar Schritte zu gehen, frische Luft zu schnappen und mehr soziale Begegnungen im Quartier zu haben“, meint Simon Wöhr. „Auch kollektive Auslieferfahrzeuge für alle Anbieter wären natürlich sinnvoll, um täglich nicht zehn Zulieferfahrzeuge in einer einzigen Straße zu haben“, so der Experte der Denkfabrik „paper planes“. „Besonders spannend und bisher für stark unterschätzt halten wir eine Wiederbelebung der Berliner Wasserstraßen für klimafreundliche Logistikschiffe – idealerweise in Kombination mit E-Logistik-Lastenrädern für die letzten Kilometer.“ Auch diese inzwischen von DHL pilotierte visionäre Idee zeigt: Berlin ist und bleibt in Bewegung.
Von Jens Bartels